In ihrem Projekt „Unlearn Racism, learn Diversity“ hat die Georg-von-Vollmar-Akademie im Oktober 2021 mit Jennifer Tevi und Nkrumah Mbouguen Sensibilisierungs-Workshops mit Schulklassen organisiert. Inhalte waren die Geschichte des afrikanischen Kontinents, Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus und struktureller Rassismus in Deutschland. Dabei wurde auch die Ausstellung „Homestory Deutschland. Schwarze Biographien in Geschichte und Gegenwart“ des ISD Bund e.V. gezeigt. In ihrem Beitrag berichten Jennifer und Nkrumah darüber, wie sie zu ihrem Engagement gekommen sind, sowie von ihrer Motivation und von ihren Erfahrungen in der rassismuskritischen Bildung.
Jennifer und Nkrumah – Mit Bildung und Aufklärung gegen Rassismus
Nkrumah Mbouguen: „Ich bin 23 Jahre alt, Student, in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ich identifiziere mich als Afrikaner aus Kamerun. Mein Name gedenkt an die Geschichte vom ersten Präsident Ghanas, der sich für die Freiheit und Unabhängigkeit des Landes einsetzte.“
“Ich bin nicht Afrikaner, weil ich in Afrika geboren bin, sondern weil Afrika in mir geboren ist”
–Kwame Nkrumah
(führte Ghana in die Unabhängigkeit und war der erste Präsident Ghanas)
Jennifer Tevi: „23 Jahre alt, Studentin, in Benin geboren und in Deutschland aufgewachsen. Ich identifiziere mich als Beninerin, die deutsch und französisch sozialisiert wurde.“
“Wenn du den Medien folgen würdest, würdest du denken, dass alle in Afrika zu Tode hungern, doch das ist nicht der Fall; also ist es wichtig, sich mit dem anderen Afrika auseinanderzusetzen.”
– Chimamanda Ngozie Adichie
(ist eine nigerianische Schriftstellerin)
Von „Black lives matter“ zur rassismuskritischen Bildung mit Jugendlichen
Als wir jünger waren, hatten wir keine Bezugspersonen. Es gab keine Lehrer, keine Strukturen oder Autoritätspersonen, die das Thema Rassismus angesprochen haben. Es war wie ein Tabuthema. Egal was einem widerfahren ist, es gab keine Möglichkeit offen darüber zu reden und es somit zu verarbeiten. Man hat sich nicht gehört gefühlt und gesehen noch weniger. Auch bezüglich afrikanischer Geschichte wurden wir kaum bis gar nicht aufgeklärt und die einzigen Bilder, die wir bekamen, waren hauptsächlich schädlich. Afrikaner wurden stets negativ dargestellt, und schon in einem sehr jungen Alter wurde uns klar, dass dies zu vielen späteren rassistischen Äußerungen und Ansichten führte.
Aus diesem Grund sprechen wir nicht nur über Rassismus, sondern auch über Teile der afrikanischen Geschichte und Beiträge afrikanischer Menschen in der Geschichte, um die Lücke im deutschen Bildungssystem zu füllen.
Bevor wir mit den Workshops begonnen haben, waren wir bereits politisch aktiv und haben Aufklärungsarbeit geleistet: Nkrumah mit seiner @Afrokratie Seite auf Instagram und seinem Engagement in der Organisation „Afrojugend München“ und Jennifer, die auch in der Afrojugend München aktiv war, sowie eine der Organisatorinnen der Black Lives Matter Demos in München.
„Zu Anfang, habe ich die Notwendigkeit gespürt eine Demonstration zu organisieren, nicht weil ich per se glaubte, dass sie Veränderungen bringen und auch nicht, weil ich hinter allen Idealen von BLM stehe, doch mir war klar, wie viel aufgestaute Emotionen in unserer Community waren und sind. Wie viel Trauer und Wut präsent waren.
Es hatte sich in dem Sinne gelohnt, ein Teil von BLM zu sein, um eine Zusammenkunft zu kreieren, und allen zu ermöglichen, sich in der Trauer und Wut weniger allein zu fühlen. Jedoch war mir klar, dass dies nicht langwierig sein würde. Es reicht nicht, nur auf die Straßen zu gehen, es reicht nicht, immer aufs Neue die Namen von neuen Opfern zu schreien und Gerechtigkeit zu verlangen. All diese Emotionen, die wir aufs Neue durchleben, ersticken uns förmlich, sie halten uns fest und ermöglichen uns nicht, voranzuziehen.
Wahre Veränderung schaffen wir nur, indem wir uns von den aufgelegten Ketten des Opfers lösen, unser Schicksal in die Hand nehmen und uns selbst weiterbilden. Sobald mir klar geworden ist, wie reich meine Geschichte ist – unsere Geschichte – hat mich ein gesunder Stolz erfüllt, den ich unbedingt teilen möchte. Unsere Geschichte ist tätowiert auf unserer Haut und wir können sie verwenden, um das bisherige Leid zu beenden. Es ist Zeit gemeinsam voranzuschreiten.“
– Jennifer Tevi
„Ich hatte meinerseits große Bedenken und eine eher kritische Haltung gegenüber BLM, da ich das Gefühl hatte, es sei nur ein temporärer Hype, da kaum bis keine langfristigen Lösungen angeboten werden, um die Situation langfristig und wahrhaftig zu verbessern.
Nichtdestotrotz konnte ich erkennen, dass einige Afro-Nachfahren sich mehr mit ihren Wurzeln auseinandersetzten. Ein Teil der Gesellschaft befasste sich mehr mit dem Kolonialismus und Deutschlands Rolle. Es wurde beispielsweise über den Genozid in Namibia gesprochen, der am Anfang des 20. Jahrhundert geschah. Über gestohlene Kunstobjekte, Reparationszahlungen, Thematiken, die in der Vergangenheit gerne vergessen oder unter dem Teppich gekehrt wurden, wurde nun nicht mehr geschwiegen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass es essenziell ist, sich mehr mit dem Afrikanischen Kontinent auseinanderzusetzen, Kindern beizubringen, dass es mehrere Kulturen und Traditionen gibt, die gleichermaßen respektiert werden müssen. Der Jugend soll klar sein, dass sie sich selbst lieben lernen müssen – als Ganzes, ihre Herkunft, ihre Kulturen miteingeschlossen – und dass sich selbst zu lieben nicht heißt, anderen Personen respektlos gegenüber zu sein! Kinder inkarnieren die Zukunft und das Morgen, deswegen ist es umso wichtiger, diese Arbeit bei Jugendlichen anzufangen, um die Zukunft besser zu gestalten.
Selbstbestimmung, Respekt und die Notwendigkeit, seine Geschichte zu kennen und lehren, sind für mich persönlich essenzielle Leitmotive, die mich dazu animieren, Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir können aus der Geschichte die richtigen Lehren ziehen, Geschichte kann aber auch Empowerment sein oder zum Nachdenken bringen. Geschichte entscheidet darüber, was wir nicht mehr wollen oder besser machen müssen.
Mein Motto ist, die Vergangenheit analysieren, um die Gegenwart zu verstehen und um die Zukunft zu verändern.„
– Nkrumah Mbouguen

Aufklärung über die Geschichtsbücher hinaus – Unsere Erfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen
Die Klassen reagierten weitaus positiv. Wir haben bisher viele Geschenke, Danksagungen und Lob bekommen – mit einigen LehrerInnen, sowie SchülerInnen halten wir bis heute Kontakt. Sowohl SchülerInnen als auch LehrerInnen profitierten von unserem Wissen. Viele Diskussionsrunden und Debatten konnten aus den Workshops entstehen und einige haben sogar ihr eigenes Verhalten hinterfragt. Für einige SchülerInnen, vor allem für Kinder mit afrikanischer Familiengeschichte, war es bestärkend, mehr über sich und die eigene Geschichte zu lernen. In einem Fall brach eine Schülerin in Tränen zusammen und sprach das aus, was sie schon lange auf dem Herzen hatte. Sie konnte endlich über Rassismus-Erfahrungen berichten, die sie in ihrem jungen Alter erlebt hatte, denn sie wusste, sie war nicht allein, und dass wir sie auffangen würden. Es war jemand präsent, der verstand, was sie empfand.
Die LehrerInnen wollten meistens, dass wir wieder kommen, da ihnen klar wurde, wie viel Arbeit noch geleistet werden muss und was für einen Mehrwert wir einbringen konnten. Vor allem sind sie überrascht, wie aufmerksam und wissbegierig ihre Schüler über diesen langen Zeitraum sein konnten.
Als wir jünger waren, hatten wir keine Mittel, um gegen den Hass von außen anzukämpfen, doch wir geben der nächsten Generation eine wichtige Waffe mit: man kann sich mit Geschichte und Wissen verteidigen.

Anmerkung der Redaktion: Bei Fragen oder Interesse an unseren Workshops, wenden Sie sich an info@vollmar-akademie.de!
Das Projekt entstand aus einer Kooperation mit dem Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e.V. in Förderung des BMFSFJ.

